Ratgeber

Hochbetagte gut ernähren!

Mit Fingerfood und Supplementen

Dr. med. Sonja Kempinski, 24.08.2024

Wenn Großmutter und Enkelin zusammen kochen, macht auch das Essen Spaß. Bildnachweis: © mauritius images / Westend61 / Svetlana Karner

Im Alter gibt es etliche Gründe, warum es zu einer Mangelernährung kommen kann. Sie reichen vom natürlichen Schwächerwerden der Organe über Nebenwirkungen von Medikamenten bis hin zu ungünstigen Lebensumständen. Vor allem Hochbetagte nehmen oft zu wenig Energie und Nährstoffe auf. Doch mit genügend Flüssigkeit und einer ausreichenden Zufuhr von Proteinen, Vitaminen und Kalzium lässt sich ernährungsbedingten Mangelerscheinungen vorbeugen.

Altern geht auf Darm und Nieren

Das Alter ist heute kein kurzer Lebensabschnitt mehr. Im Gegenteil - Menschen in Deutschland werden immer älter. Während die Lebenserwartung für 1950 geborene Jungen und Mädchen noch bei knapp 65 bzw. 69 Jahren lag, beträgt sie für 2022 geborene Kinder 78 bzw. 83 Jahre. Das bedeutet, dass immer mehr Menschen ein hohes Alter erreichen – das definitionsgemäß mit 75 Jahren anfängt.

In diesem Alter gesund und leistungsfähig zu bleiben, ist nicht selbstverständlich. Denn der Organismus verändert sich mit den Jahren. Von den physiologischen, also natürlichen Alterungsprozessen, sind nahezu alle Organsysteme und Gewebe betroffen. Muskelmasse, Knochenmasse und die Menge an Körperwasser nehmen ab. Im Gegenzug erhöht sich der Fettanteil, vor allem das Eingeweidefett, das sich im Bauch rund um die Organe herum befindet. Die Organe selbst werden durch eine geringere Durchblutung und Alterungsprozesse kleiner und büßen an Leistung ein.

Das zeigt sich besonders deutlich an der Niere: Sie kann im Alter nicht nur Fremd- oder Giftstoffe schlechter ausscheiden. Zudem findet ein wichtiger Schritt zur Aktivierung von Vitamin D oft nicht mehr so gut statt. Dann kommt es zu Vitamin-D-Mangel und Knochenbrüchigkeit. Auch der hochbetagte Darm arbeitet nicht mehr so gut wie in jungen Jahren. Die Zellerneuerung der Darmschleimhaut dauert länger, wodurch die Aufnahmefähigkeit von Nährstoffen vermindert ist. Die geringere Nervensensibilität im Enddarm begünstigt zudem die Verstopfung.

Ältere Menschen essen außerdem oft einfach weniger, weil sie weniger Appetit haben. Dahinter stecken ein abnehmender Geschmacks- und Geruchssinn und ein schnelleres Sättigungsgefühl – verursacht dadurch, dass sich der alte Magen weniger gut dehnen kann. Auch das Durstempfinden sinkt mit dem Alter.

Hinweis: Viele Hochbetagte haben Probleme mit dem Kauen, sei es durch schadhafte Zähne oder eine schlecht sitzende Zahnprothese. Auch deswegen nehmen sie oft weniger Kalorien und Nährstoffe auf. Um dem entgegenzusteuern, ist es auch im vorgerückten Alter wichtig, regelmäßig die Zahnärzt*in aufzusuchen.

Medikamente und Einsamkeit als Appetitkiller

Neben diesen natürlichen Alterungsvorgängen gibt es noch einen entscheidenden weiteren Faktor für eine gestörte Aufnahme von Nährstoffen: Alte Menschen leiden vermehrt unter chronischen Erkrankungen und benötigen häufig eine große Anzahl von Medikamenten. Von etlichen Wirkstoffen ist jedoch bekannt, dass sie die Aufnahme von Mengen- oder Spurenelementen behindern. Beispiele sind

  • Protonenpumpenhemmer (PPI). Diese bei Gastritis oder Magenulkus eingesetzten Wirkstoffe verringern die Aufnahme von Mikronährstoffen über die Darmschleimhaut.
  • Antidepressiva, Anticholinergika, Promethazin. Diese Wirkstoffe lösen eine Trockenheit im Mund aus und bewirken dadurch häufig, dass alte Menschen weniger essen.
  • Herzglykoside und nichtsteroidale Antirheumatika. Sie führen oft zu Übelkeit, Bauchschmerzen und Verstopfung und schränken damit den Appetit ein.
  • Entwässerungsmittel. Diuretika sind harntreibend und können eine vermehrte Ausscheidung der wichtigen Nährstoffe Zink, Magnesium oder Kalium verursachen.
  • Statine zur Cholesterinsenkung. Diese Medikamente hemmen in der Leber die Synthese von Coenzym Q10.

Hinweis: Auch die Psyche hat einen Einfluss auf den Ernährungszustand. Einsamkeit und Depressionen können dazu führen, dass die Lust am Essen verloren geht.

Wozu führt Mangelernährung und wie häufig ist sie?

All die genannten Prozesse können zu einer Mangelernährung führen. Dabei lassen sich zwei Formen unterscheiden, die jedoch in vielen Fällen auch kombiniert auftreten:

Bei der quantitativen Mangelernährung bekommt der Organismus nicht genügend Energie, d.h. die Kalorienzufuhr ist langfristig geringer als der Kalorienbedarf. Typisches Anzeichen dafür ist die Gewichtsabnahme.

Von einer qualitativen Mangelernährung spricht man, wenn der Mensch nicht genügend Eiweiß, Vitamine und Mengen- oder Spurenelemente aufnimmt – das kann sogar bei Übergewicht der Fall sein.

Eine zu geringe Aufnahme von Energie und Nährstoffen kann zahlreiche Folgen haben. Müdigkeit und Antriebslosigkeit gehören ebenso dazu wie körperliche Schwäche und Störungen beim Denken und Konzentrieren. Häufig ist die Mangelernährung auch mit einer zu geringen Aufnahme von Flüssigkeit verbunden und es kommt zur Austrocknung des Körpers. Eine solche Dehydratation macht sich durch trockene Haut und Schleimhäute, eine rissige Zunge und Schwindel beim Aufstehen bemerkbar.

Auch ganz spezielle Folgen drohen. Bei einem Mangel an Vitamin D und/oder Kalzium entwickelt sich leicht eine Osteoporose und das Risiko für Knochenbrüche steigt. Eine zu geringe Versorgung mit Vitamin B12 und Folsäure führt zu einer Anämie, was die Antriebsschwäche zusätzlich verstärkt. Nährstoffmangel stört zudem die Wundheilung und erhöht die Gefahr für das Wundliegen (Dekubitus).

Hinweis: Mangelernährung im Alter ist häufig. In einer Untersuchung an über 2000 Pflegeheimbewohner*innen wiesen knapp 17% einen Body Mass Index unter 20 auf und waren damit nach WHO-Definition für Senior*innen über 65 Jahren untergewichtig.

Mangelernährung vorbeugen – so geht´s

Mit steigendem Alter nimmt das Risiko für eine Mangelernährung zu. Ist ein alter Mensch quantitativ mangelernährt, also untergewichtig, ist es sehr schwer, wieder Gewicht aufzubauen. Diesem Zustand sollte frühzeitig aktiv entgegengesteuert werden. Dabei muss nicht nur auf ausreichend Energie in Form von Kalorien, sondern auch auf die Nährstoffe geachtet werden.

Kalorien. Der Energiebedarf von Senior*innen ist geringer als bei jüngeren Erwachsenen. Bei wenig Bewegung benötigen Frauen etwa 1700 Kilokalorien täglich und Männer 2100. Die Ernährung soll an diesen Bedarf angepasst und bei Untergewicht patientenverträglich erhöht werden. Basis ist eine gesunde abwechslungsreiche Mischkost, die ausreichend Nährstoffe und Eiweiß beinhaltet.

Eiweiß. Für Männer und Frauen über 65 Jahren empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) die tägliche Aufnahme von 1 bis 1,2 g Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht. Wurde schon eine Sarkopenie, also ein verstärkter Muskelabbau, diagnostiziert, sind sogar 1,2 bis 1,5 g pro kgKG erforderlich. Um diese Menge gut aufzunehmen, sollte das Eiweiß über drei Hauptmahlzeiten hinweg verteilt werden. Eiweißreich sind neben Fleisch und Milchprodukten auch Eier, Lachs, Thunfisch auch Tofu, Quinoa, Brokkoli und Spinat.

Flüssigkeit. Ältere Erwachsene sollten über Getränke und Nahrung etwa 1,5 l Flüssigkeit zu sich nehmen. Neben Wasser, ungesüßtem Tee oder Kaffee sind dafür Gemüsesuppen und wasserhaltiges Obst gut geeignet. Bei Herz- oder Nierenerkrankungen muss die aufgenommene Flüssigkeitsmenge entsprechend angepasst werden.

Hinweis: Beim Vorliegen oder Drohen einer Mangelernährung sollte die behandelnde Ärzt*in immer die eingenommenen Medikamente überprüfen. Manche Wirkstoffe lassen sich durch andere, mit weniger Nebenwirkungen behaftete Substanzen ersetzen.

Auf kritische Nährstoffe achten

Energie, Eiweiß und Flüssigkeit sind nur ein Teil einer gesunden Ernährung im Alter. Wichtig ist zudem, ausreichend Nährstoffe aufzunehmen. Dies ist mit einer gesunden, ausgewogenen Kost aus nährstoffdichten Lebensmitteln recht gut zu bewerkstelligen. Es gibt allerdings drei Komponenten, die bei Hochbetagten zu den sogenannten kritischen Nährstoffen gehören und auf die besonders zu achten ist - Vitamin D, Kalzium und Vitamin B12.

Vitamin D. Bei alten Menschen ist ein Vitamin-D-Mangel sehr wahrscheinlich. Das liegt daran, dass die Haut weniger Prävitamin D produziert und die Niere diese Vorstufen weniger gut aktivieren kann. Deshalb wird alten und hochbetagten Menschen empfohlen, neben ihrer gesunden Ernährung Vitamin-D-Präparate einzunehmen. Die entsprechende Dosis sind 20 Mikrogramm am Tag.

Kalzium. Um Knochen und Muskeln zu stärken, sind zusätzlich 1000 mg Kalzium nötig. Diese Menge kann man aus kalziumreichen Mineralwässern, Milchprodukten und oxalarmen Gemüse wie Brokkoli beziehen. Für eine ausreichende Kalziumaufnahme von etwa 1050 mg reicht z.B. der tägliche Verzehr von 150 ml Milch oder Buttermilch plus 150 g Joghurt plus 50 g Emmentaler Käse aus. Ist dies nicht möglich, kann Kalzium auch zusätzlich als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden.

Vitamin B12. Desweiteren empfiehlt die DGE älteren Menschen, regelmäßig ihren Vitamin B12-Status kontrollieren zu lassen. Denn ein Vitamin-B12-Mangel lässt die Blutspiegel von Homocystein ansteigen, was das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall sowie für venöse Thrombosen erhöht. Außerdem begünstigt ein Vitamin-B12-Mangel Anämien und Nervenstörungen. Liegt ein Mangel vor, muss dieser unter ärztlicher Aufsicht beseitigt werden. Das gelingt mit Tabletten oder über intramuskuläre Injektionen, die jeweilige Dosierung ist individuell anzupassen. Immer soll B12 zugeführt werden, wenn gleichzeitig Protonenpumpenhemmer eingenommen werden. Das Gleiche gilt bei veganer bzw. vegetarischer Ernährung.

Hinweis: In Einzelfällen können durch eine reduzierte Nahrungsaufnahme oder einseitige Ernährung auch Mineralstoffe wie Zink, Eisen, Jod oder Selen verringert sein. Bei entsprechenden beschwerden ist es jedoch vor einer Ergänzung mit Nahrungsergänzungsmitteln sinnvoll, einen Mangel von der Ärzt*in durch Blutuntersuchungen nachweisen zu lassen.

Allgemeine Tipps für mehr Lust am Essen

Unabhängig von altersbedingten Veränderungen des Organismus und der Medikamenteneinnahme haben Hochbetagte oft weniger Lust, zu essen. Hier können einige Tipps helfen:

  • abwechslungsreiches, appetitanregendes Essen anbieten, Wunschkost erfüllen
  • neben den drei Hauptmahlzeiten mindestens zwei energie-/proteinreiche Zwischenmahlzeiten anbieten, z.B. Joghurt oder Käsewürfel
  • für aufrechte Haltung sorgen, möglichst im Sitzen essen lassen
  • gemeinsam mit Familienmitgliedern essen
  • für entspannte Atmosphäre beim Essen sorgen, Zeitdruck vermeiden
  • geeignete Hilfsmittel einsetzen (Schnabeltasse, Unterstützung beim Schneiden)
  • regelmäßig Zähne und Prothesen kontrollieren lassen
  • bei Kau- und Schluckproblemen leicht zu verzehrende Speisen reichen.

Fingerfood ist auch für alte Menschen eine gute Möglichkeit, ohne Besteck zu essen. Die Portionen sollten nicht größer als ein bis zwei Bissen sein, leicht zu greifen und zu kauen und in der Konsistenz nicht zu klebrig. Bei Gewichtsverlust eignen energiereiche Soßen als Dip, die z.B. mit Ölen, Sahne oder Nussmuß angereichert werden. Für warme Mahlzeiten bieten sich Gemüsekuchen oder Pizza in Stücken, Hähnchenbruststreifen, kleine Bratlinge aus Fleisch oder Gemüse, Kroketten, Gnocchi und Fischstäbchen an.

Tipp: Gute Rezepte für Fingerfood für alte Menschen finden sich in der Rezeptdatenbank der DGE nach Eingabe „Fingerfood“.

Quellen: DGE,  DAZ 2024, Nr. 9, S. 34, abgerufen am 27.07.2024

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